Die bisherige Bundesregierung ist Geschichte, FDP-Mann Marco Buschmann nicht mehr Justizminister. Für die Rechtspolitik beginnt nun eine Hängepartie. Die anstehende Bundestagswahl ist dennoch eine Chance.
Diese Woche wird in die Geschichte eingehen. Nur wenige Stunden trennten die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und das Ende der deutschen Ampelkoalition. Auch wenn Trumps Wahl weltpolitisch mehr Gewicht hat, schauen deutsche Juristen vor allem nach Berlin: Denn das Ampel-Aus beerdigt schlagartig etliche Gesetzesvorhaben. Bis zur Neuwahl des Bundestags werden die Abgeordneten nur noch wenig beschließen können – verlässliche Mehrheiten gibt es nicht mehr.
Für die Rechtspolitik ist das einerseits ärgerlich. Unsere Zeiten vertragen keinen Stillstand. Andererseits ist die anstehende Bundestagswahl eine Chance, künftige Gesetze stärker auf die Mitte der Gesellschaft auszurichten. Die bisherige Bundesregierung reformierte das Recht auf dem Feld der Gesellschaftspolitik allzu einseitig. Das vor einer Woche in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz ist ein Beispiel dafür.
Ein noch größeres Problem war der fehlende Respekt der Ampel vor dem Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach Verfassungsbrüche der Koalition beanstandet. Deren Vertreter ignorierten nicht nur die Schuldenbremse, sondern auch wichtige Beteiligungsrechte des Bundestags. Dies steht in Widerspruch zu den Reden zahlreicher Regierungspolitiker anlässlich des 75. Jubiläums des Grundgesetzes.
Dabei war richtig, was in diesen Reden gesagt wurde: Unsere Verfassung ist großartig. Das zeigt sich gerade in der jetzigen Lage. Die Grundgesetzautoren haben Vorkehrungen getroffen, damit aus der Regierungs- keine Staatskrise wird. In unserem Briefing erklären wir, warum Scholz’ Vertrauensfrage trotzdem Neuland ist. Gleichzeitig haben wir natürlich die Vereinigten Staaten im Blick. Parallel zur Präsidentenwahl gab es dort zahlreiche Volksabstimmungen zum Abtreibungsrecht. Ihre Ergebnisse zeigen, dass das Thema umstrittener ist als medial oft dargestellt. Unsere Kolleginnen Julia Bellan, Katharina Hofbauer und Sara Wagener geben einen sachlichen Überblick.
Außerdem in diesem Briefing: Unser Gastautor Jannik Rienhoff zieht Schlussfolgerungen aus dem JVA-Skandal in Bayern. Er fordert, das dortige Vollzugsgesetz zu ändern. Und unsere Parlamentskorrespondentin Heike Schmoll berichtet zur gestern beschlossenen Antisemitismus-Resolution des Bundestages.
Beide Themen haben uns bereits in den vergangenen Wochen beschäftigt – mit unserem wöchentlichen Briefing bleiben Sie stets „auf der Höhe der Zeit“. Diese Redewendung hat übrigens auch der bisherige Bundesjustizminister Marco Buschmann gerne verwendet, um seine Politik zu rechtfertigen. Aus dem Ergebnis der anstehenden Bundestagswahl wird sich ablesen lassen, ob seine Selbstwahrnehmung stimmt – oder ob er ein Mann der Vergangenheit ist.
Was denken Sie zum Aus der Ampel? Schreiben Sie es uns gerne an redaktioneinspruch@faz.de. Auch über Anregungen, Themenvorschläge und Rückmeldungen zu unserem Newsletter freuen wir uns.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende – mit optimistischem Blick in die Zukunft!
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Er schreibt damit Rechtsgeschichte – bisher kam die Vertrauensfrage stets in anderen Konstellationen zum Einsatz.
Von Stephan Klenner
Dass die Vertrauensfrage in Artikel 68 des Grundgesetzes steht, ist eine Reaktion des Parlamentarischen Rates auf die Weimarer Reichsverfassung. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes empfanden die zahlreichen Reichstagsauflösungen in der Weimarer Republik als destabilisierend für die junge Demokratie. Sie verfolgten deshalb das Ziel, eine Parlamentsauflösung in der Bundesrepublik weniger leicht zu ermöglichen. Dafür beschränkten sie die Kompetenz des Bundespräsidenten im Vergleich zum Weimarer Reichspräsidenten – und gestalteten das Grundgesetz so, dass eine Parlamentsauflösung nur als „ultima ratio“ möglich ist.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) möchte Anfang kommenden Jahres die Vertrauensfrage stellen. AFP
Mögliche Misshandlungen von Gefangenen in der JVA Augsburg-Gablingen beschäftigen die bayerische Landespolitik. Die Aufklärung steht noch am Anfang. Aber bereits jetzt wird klar, dass Gesetzesänderungen notwendig sind.
Von Jannik Rienhoff
Die Vorwürfe gegen die JVA Augsburg-Gablingen wurden vor allem durch eine Gefängnisärztin öffentlich, die von unhaltbaren Zuständen sprach. Im Raum stehen Folterungen in Form von Körperverletzungen und Zwangsmaßnahmen, ohne dass deren Voraussetzungen vorlagen. Die Ärztin hatte bereits vor einem Jahr an das Bayerische Justizministerium geschrieben. Dort habe man sich an die Staatsanwaltschaft gewandt – angeblich nicht jedoch an den zuständigen Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Dieser sagt nun, dass man der Sache nachgehen müsse und es offenbar zu wenig Kontrolle der JVA gäbe.
Vergitterte Fenster in einem Trakt der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen. dpa
Der Bundestag hat eine Resolution gegen Judenhass und für jüdisches Leben in Deutschland verabschiedet. Vorausgegangen waren lange Verhandlungen. Bis zuletzt gab es Kritik.
Von Heike Schmoll, Berlin
In seiner ersten Plenarsitzung nach dem Ende der Ampelregierung hat der Bundestag ganz offenbar Einigkeit und Handlungsfähigkeit demonstrieren wollen. Mehr als ein Jahr nach dem Hamas-Angriff auf Israel hat er mit breiter Mehrheit einen Antrag mit dem Titel „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ verabschiedet. Der Inhalt des Antrags, den SPD, Grüne, FDP und Union gemeinsam erarbeitet haben, ist zwar nicht rechtsverbindlich, könnte aber Wirkung entfalten, wenn daraus konkrete politische Schritte folgten.
Ein Teilnehmer einer Pro-Israel-Kundgebung vor der Paulskirche in Frankfurt trägt im Oktober 2023 eine Kippa mit Davidstern. dpa
In zehn Bundesstaaten haben die Bürger auch über das Abtreibungsrecht abgestimmt – in den meisten Fällen dafür. Wohin geht der Trend seit der Entscheidung des Supreme Court?
Von Julia Bellan, Katharina Hofbauer (Grafiken), Sara Wagener (Text)
Missouri war der erste amerikanische Bundesstaat, der Abtreibungen verboten hat, nachdem der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten 2022 das landesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche abgeschafft hatte. Nun ist der konservative Staat im Mittleren Westen unter den ersten Staaten, in denen ein Verbot wieder zurückgenommen wurde. Denn in zehn Bundesstaaten haben die Bürger an diesem Dienstag nicht nur über den künftigen Präsidenten und andere Politiker entschieden, sondern auch über ein Recht auf Abtreibung. Die Wähler dort konnten in „ballot measures“ genannten Volksentscheiden über Änderungen der Verfassung des Bundesstaats abstimmen.
Die Möglichkeiten des Bundesnachrichtendiensts zur Verhinderung von Cyberspionage und Cybersabotage gehen zu weit. Das entschied das Bundesverfassungsgericht.
Von Finn Hohenschwert
Die internationale Kommunikationsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) verstößt teilweise gegen das Grundgesetz. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Donnerstag in einem Beschluss bekannt gegeben. Konkret geht es um die sogenannte strategische Überwachung der internationalen Kommunikation, also zwischen Personen im In- und Ausland. Der BND darf diese Kommunikation nach Schlagworten, die er in jedem Einzelfall festlegen muss, gezielt durchsuchen. Dadurch sollen Cybergefahren, insbesondere Cyberspionage oder Cybersabotage, frühzeitig erkannt werden.
Anleger hoffen im großen Musterprozess gegen Wirecard-Verantwortliche und die Wirtschaftsprüfung EY auf Schadenersatz. Doch bisher wachsen nur der Aktenberg und der Frust.
Von Mark Fehr
Wer die mündliche Verhandlung im Musterprozess der Wirecard -Anleger am 22. November beobachten will, muss durch eine Sicherheitskontrolle fast wie am Flughafen. Justizbeamte kontrollieren Ausweise, Gepäck und Taschen, und Besucher müssen sogar durch eine Torsonde laufen. Wegen der großen Zahl der Prozessbeteiligten und des hohen Öffentlichkeitsinteresses hat das Bayerische Oberste Landesgericht sogar die Wappenhalle an der Messe München und dem ehemaligen Flughafen Riem gemietet. In einen normalen Gerichtssaal passen nicht genug Teilnehmer.
Ehemalige Wirecard-Zentrale in Aschheim: Gewinnt die zivilrechtliche Aufarbeitung des Wirecard-Skandals mit dem Musterverfahren der Kapitalanleger jetzt endlich an Fahrt? dpa
In Folge 321 analysieren wir die rechtlichen Möglichkeiten für den Fall, dass die Ampel zerbricht. Wir sprechen außerdem über Missbrauch in der JVA Augsburg-Gablingen, den Karlsruher Bafög-Beschluss und die Verurteilung eines Narkosearztes.
Werden Mitarbeiter eines Unternehmens straffällig, ist das Arbeitsverhältnis oft nachhaltig belastet, die weitere Zusammenarbeit scheint unmöglich. Doch nicht jede Straftat begründet einen Kündigungsgrund. Worauf es ankommt.
Wissenschaftler forschen seit Jahrzehnten nach den Effekten von Pausen und finden dabei immer wieder heraus: Erholungsphasen sind unverzichtbar für erfolgreiches Lernen. Mit diesen Tipps lässt sich die nächste Lernpause effektiver gestalten.
IQB Karrieremagazin Redaktionsteam
VERANSTALTUNGSKALENDER
Karriereevents für Juristen
Hier finden Sie auf einen Blick alle Events rund um die juristische Karriere – für alle, die in der Rechtsbranche beruflich ein- oder aufsteigen wollen.
Vor einem Jahr kündigte Kanzler Scholz an, Deutschland müsse „mehr und schneller abschieben“. Doch die Quote der gescheiterten Abschiebungen ist weiterhin hoch. BSW-Chefin Wagenknecht spricht von einer „Luftnummer“.
Von Mona Jaeger, Berlin
In den ersten neun Monaten des Jahres sind 61 Prozent aller Abschiebungen aus Deutschland gescheitert. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Bundestagsabgeordneten und BSW-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht hervor, die der F.A.Z. vorliegt. „Der Bundeskanzler begeht Wortbruch beim Thema Abschiebungen. Er hat vor einem Jahr vollmundig versprochen, dass endlich wieder Recht und Gesetz gelten und Ausreisepflichtige konsequent abgeschoben werden. Herausgekommen ist eine Luftnummer“, sagte Wagenknecht. Zuerst hatte die „Neue Osnabrücker Zeitung“ darüber berichtet.
Ein Mann aus Afghanistan wird von Polizisten zum Flughafen gebracht. (Archivbild) dpa
In Paris hat der Prozess um den Mord an Samuel Paty begonnen. Der Geschichtslehrer hatte vor vier Jahren Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt, anschließend gab es eine Hetzkampagne gegen ihn, die er mit seinem Leben bezahlte.
Die Bundestagsverwaltung hat
den hessischen Grünenvorsitzenden Andreas Ewald entlastet. Anders als von Parteifreunden unterstellt, hat er nach Ansicht der Bundestagsprüfer nicht gegen das Parteiengesetz verstoßen. Der Grünenvorsitzende hatte sich Auslandsreisen nach Israel und in die Vereinigten Staaten bezahlen lassen.
Die neue britische Regierung bringt ein Gesetz zum Rauchverbot ein. Die Jahrgänge von 2009 an sollen legal keinen Tabak mehr erwerben dürfen.
Berlin: Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags zum Bundesmeldegesetz
Dienstag, 12. November 2024
Karlsruhe: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt zum Solidaritätszuschlag.
Erfurt: Das Bundesarbeitsgericht verhandelt über den Arbeitnehmerstatus eines Autowaschstraßenbetreibers.
New York: Im Prozess gegen Donald Trump um eine mutmaßliche Schweigegeldzahlung an eine ehemalige Pornodarstellerin wird der zuständige Richter darüber befinden, ob der Schuldspruch gegen Trump aufgrund der Rechtsprechung des Supreme Court aufgehoben wird.
Mittwoch, 13. November 2024
Berlin: Öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu Regelungen zum Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz
Donnerstag, 14. November 2024
Berlin: Konstituierende Sitzung des Deutschen Ethikrates
Luxemburg: Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Die EU-Kommission hat gegen Deutschland wegen der Verschlechterung magerer Heuwiesen geklagt.