Karlsruhe sorgt mit seiner Eilentscheidung zu Sondersitzungen des alten Bundestages für Spannung. Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle redet Klartext zur Staatsreform.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am Mittwoch zum Jahrespresseempfang geladen. Viele anreisende Journalisten rechneten damit, an diesem Tag auch aus Karlsruhe berichten zu müssen: Einen Tag vor der ersten Sondersitzung des Bundestages zur Schuldenbremse wäre eine Eilentscheidung der Verfassungsrichter keine Überraschung gewesen. AfD und Linke wollen Grundgesetzänderungen durch den alten Bundestag verhindern. Zumindest ein Teil ihrer Anträge bezog sich ausdrücklich auf die Sitzung am Donnerstag. Die Abstimmung über die von Schwarz-Rot geplanten Verfassungsänderungen ist allerdings erst für kommenden Dienstag vorgesehen. Karlsruhe scheint das zum Anlass zu nehmen, sich Zeit zu lassen. Eine Entscheidung zu den Eilanträgen ist bisher nicht ergangen. Der Zweite Senat befasste sich
stattdessen am Donnerstag mit den Anträgen des BSW, die auf eine Neuauszählung der Bundestagswahl gerichtet waren – die Partei scheiterte mit ihrem Anliegen.
Das Parlamentsrecht wird so zum Thriller. Journalisten, Politiker und Juristen blicken voller Spannung nach Karlsruhe. Sollte das Verfassungsgericht eine Beschlussfassung des alten Bundestags untersagen, hätte das weitreichende Folgen: Im neuen, am 23. Februar gewählten Bundestag verfügen AfD und Linke gemeinsam über eine Sperrminorität für Grundgesetzänderungen. Unser Gastautor Lothar Michael, Juraprofessor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, schreibt für Sie auf, welche Aspekte die Richter jetzt abwägen müssen. Und auch an anderer Stelle ist Karlsruhe Thema im Briefing: Reinhard Müller, Verantwortlicher Redakteur für F.A.Z. PRO Einspruch, hat mit dem früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle über dessen Ideen für eine Staatsreform gesprochen.
Vielleicht ein Impuls für die anstehenden Koalitionsverhandlungen?
Mit denen beschäftigt sich auch Professor Joachim Behnke. In seiner Erwiderung auf den Gastbeitrag von Professor Michael Kubiciel aus der vergangenen Woche tritt er dessen Vorschlägen für eine Wahlrechtsreform entgegen. Schwarz-Rot hat im Sondierungspapier angekündigt, eine solche Reform zu prüfen, ohne sich auf konkrete Inhalte festzulegen. Den Verhandlern seien ausdrücklich beide Gastbeiträge zur Lektüre empfohlen!
Wie Sie es von uns gewohnt sind, geht unser Blick auch über Deutschlands Grenzen hinaus: Unser Brüsseler Korrespondent Thomas Gutschker hat für Sie aufgeschrieben, wie die EU-Kommission die Abschieberegeln verschärfen möchte. Unser Südostasien-Korrespondent Till Fähnders berichtet von der Festnahme des früheren philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte aufgrund eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs. Und unser Kollege Marcus Jung hat sich angesehen, wie Donald Trump gegen Großkanzleien vorgeht, die seine politischen Gegner beraten.
Sie haben noch mehr Ideen und Themenvorschläge? Schreiben Sie uns unter redaktioneinspruch@faz.de.
Linke und AfD haben beim Bundesverfassungsgericht beantragt, die Beschlussfassung des alten Bundestages über Grundgesetzänderungen zur Verschuldung zu stoppen. Welche Argumente werden die Richter bei ihrer Entscheidung berücksichtigen?
Von Lothar Michael
Am Donnerstag kam der alte Bundestag zusammen, um Änderungen des Grundgesetzes zur Schuldenbremse zu beraten. Am Dienstag ist die Beschlussfassung geplant. Der neue, bereits am 23. Februar gewählte Bundestag kommt erst am 25. März zusammen. Ob der 20. Bundestag noch kurz vor der konstituierenden Sitzung des 21. Bundestages ein solches Gesetzgebungsverfahren durchführen darf, wirft verfassungsrechtliche Fragen auf. Um diese zu klären, haben AfD und Linke beim Bundesverfassungsgericht Organstreitverfahren beantragt.
Das Bundesverfassungsgericht soll klären, ob der alte Bundestag vor der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages Grundgesetzänderungen durchführen darf. dpa
Michael Kubiciel hat auf F.A.Z. Einspruch Sympathien für eine Wahlrechtsreform mittels Grabenwahlrecht gezeigt. Besser wäre, Wahlkreise ohne Abgeordnete mithilfe einer Ersatzstimme auszuschließen – oder durch größere Wahlkreise.
Von Joachim Behnke
Der Augsburger Juraprofessor Michael Kubiciel hält das derzeitige Wahlrecht für verunglückt, weil die Ampelkoalition – von „moralischen Ambitionen und gemeinsamen Interessen“ angetrieben – „grundlegenden Änderungen“ vorgenommen habe, die zudem „einseitig“ gewesen wären, anstatt „überschaubare Kompromisse“ zu finden. Als einen solchen „Kompromiss“ nennt er ein Grabenwahlsystem, bei dem etwas weniger als die Hälfte der Mandate in Form von Direktmandaten vergeben würde, während das Proportionalwahlsystem nur noch auf die übrigen Sitze angewandt würde. Seine Kritik hinsichtlich der Reform des Wahlsystems ist jedoch unbegründet und sein Gegenvorschlag in höchstem Maße selbst problematisch.
Über 20 Wahlkreissieger aus ganz Deutschland bleiben aufgrund des neuen Wahlrechts vom Einzug in den Bundestag ausgeschlossen. dpa
Künftig sollen Personen, die kein Asyl bekommen, eine Pflicht zur Mitwirkung an ihrer eigenen Rückführung haben. Andernfalls drohen Sanktionen: von Leistungskürzungen bis zur Inhaftierung.
Von Thomas Gutschker, Brüssel
Im Jahr 2023 bekamen 484.000 irreguläre Migranten in der Europäischen Union einen Rückkehrbescheid ausgestellt – sie mussten in ihr Heimatland zurückkehren. Doch tatsächlich kamen dem nur 91.000 Personen nach, weniger als 20 Prozent. Diese Zahl ist seit Jahren weitgehend konstant, trotz aller Anstrengungen, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu verbessern.
Migranten suchen nach ihrer Ankunft mit einem Schiff der spanischen Küstenwache im Hafen von Arguineguin auf Gran Canaria am 5. März 2025 medizinische Hilfe in einem Zelt des Roten Kreuzes. Reuters
Eine Kommission rund um den früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts will den Staat wieder handlungsfähig machen. Im Interview beschreibt Andreas Voßkuhle, warum das dringend nötig ist.
Von Reinhard Müller
Herr Professor Voßkuhle, im Rahmen der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ haben Sie gemeinsam mit Thomas de Maizière, Peer Steinbrück und Julia Jäkel einen ersten Bericht vorgelegt. Sie zeichnen darin das Bild eines handlungsunfähigen Staates. Aber der Staat funktioniert doch.
Andreas Voßkuhle war von 2010 bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Picture Alliance
Rodrigo Duterte rief auf den Philippinen einen brutalen Antidrogenkrieg aus. Tausende wurden getötet, der Internationale Strafgerichtshof ermittelte. Jetzt ist der frühere Präsident festgenommen worden.
Von Till Fähnders, Neu Delhi
Der frühere Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, ist am Flughafen von Manila festgenommen worden. Gegen ihn soll dem Büro von Präsident Ferdinand Marcos Jr. zufolge ein Interpol-Haftbefehl vorliegen, der auf den Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Dutertes blutigen Kriegs gegen Drogen beruhe.
Pflegt sein Image als starker Mann: Der ehemalige Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte. AP
Wer ihm nicht passt, muss büßen. Dieses Verhaltensmuster hat US-Präsident Donald Trump immer wieder gezeigt. Das bekommen nun auch die Großkanzleien zu spüren, die seine politischen Gegner beraten und vor Gericht vertreten.
Von Marcus Jung
Mit Amerikas Präsident Donald Trump und seiner Administration sollte man sich nicht anlegen. Das ist die Erfahrung, die aktuell eine Reihe namhafter amerikanischer Großkanzleien machen müssen, die in der Vergangenheit teils auch als Berater für den Staat und Bundesbehörden tätig waren. „Sie waren sehr unehrlich. Wir werden Punkt für Punkt aufzeigen, wie schlecht sie für unser Land waren“, sagte Trump am vergangenen Wochenende im Gespräch mit dem Fernsehsender Fox News.
Perkins Coie ist eine der größten Kanzleien an der US-Westküste. Gegen die Kanzlei tritt Donald Trump besonders nach. Reuters
Die Frage, ob Unternehmen Kartellbußgelder von Managern zurückverlangen können, sorgt für Diskussionen. Der Bundesgerichtshof sieht Klärungsbedarf durch den Europäischen Gerichtshof. Die Entscheidung könnte die Haftungskultur in Europa nachhaltig beeinflussen.
Viele Jurastudenten arbeiten als Werkstudenten. Aber welche Rechte haben sie? Alles Wissenswerte zu Urlaubsanspruch und Kündigungsschutz.
IQB-Karrieremagazin Redaktionsteam
VERANSTALTUNGSKALENDER
Karriereevents für Juristen
Hier finden Sie auf einen Blick alle Events rund um die juristische Karriere – für alle, die in der Rechtsbranche beruflich ein- oder aufsteigen wollen.
Die Thüringer AfD um ihren Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke blockiert seit Monaten die Besetzung wichtiger Justizwahlausschüsse. dpa
In Folge 336 analysieren wir mit Carl-Christian Dressel die AfD-Blockade im Thüringer Landtag. Dirk Peglow vom Bund Deutscher Kriminalbeamter fragen wir, wie die Politik von Donald Trump die Arbeit der Sicherheitsbehörden verändert.
Als Oberstaatsanwalt sah er die Justiz kritisch, als Rezensent und Rechtsphilosoph wendete er diese lebenslange Beobachtung witzig ins Konstruktive: Walter Grasnick ist im Alter von 93 Jahren gestorben.
Von Patrick Bahners
Das war kein Juristenlatein. Einen neuen, in der Zeitung wie in seinem Fach ungewohnten Ton schlug von 1997 an ein Rezensent rechtswissenschaftlicher Literatur in der F.A.Z. an: frisch, trocken, witzig. Mit Spaß an der Sprache. Man könnte über dieses Juristendeutsch also auch sagen: Es war selbstreferenziell in strikter Sachbezogenheit.
Walter Grasnick war auch als bildender Künstler tätig. Noch 2023 beteiligte er sich an einer Düsseldorfer Galerieausstellung, in der auch Gotthard Graubner und Günther Uecker vertreten waren. privat
Das Bundesverfassungsgericht hat Anträge aus den Reihen des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) auf eine Neuauszählung der Bundestagswahl wegen Unzulässigkeit verworfen
. Die Partei muss die Feststellung des Wahlergebnisses abwarten und kann anschließend ein Wahlprüfungsverfahren beim Bundestag initiieren.
Ein Gericht in Tiflis hat Georgiens früheren Präsidenten Micheil Saakaschwili zu neun Jahren Haft verurteilt. Die Anklage warf ihm vor, während seiner zweiten Amtszeit als Präsident Gelder aus dem Budget des Personenschutzes zweckentfremdet zu haben.
Ausblick
Montag, 17. März 2025
Hamm: Das Oberlandesgericht verhandelt zur „Klima-Klage“ eines peruanischen Kleinbauern gegen RWE.
Dienstag, 18. März 2025
Berlin: Der Bundestag entscheidet voraussichtlich über Grundgesetzänderungen zur Schuldenbremse.
Karlsruhe: Der Bundesgerichtshof urteilt zur marktübergreifenden Bedeutung von Apple.
Mittwoch, 19. März 2025
Karlsruhe: Der Bundesgerichtshof verkündet sein Urteil über die Revisionen des Generalbundesanwalts und der Angeklagten gegen das am 31. Mai 2023 verkündete Urteil des Oberlandesgerichts Dresden zur Linksextremistin Lina E.
Freitag, 21. März 2025
Berlin: Der Bundesrat entscheidet voraussichtlich über Grundgesetzänderungen zur Schuldenbremse.