Die Inflation des Wortes „Zeitenwende“ könnte einen glauben lassen, dass damit auch die Entwertung des Begriffs einhergeht. Das Gegenteil ist der Fall. Als gäbe es nicht Krisenherde genug auf der Welt, erwachten wir am Morgen des 6. November mit Donald Trump als wiedergewähltem 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und gingen abends mit einer demontierten Berliner Ampel zu Bett. Dabei waren sich viele sicher, dass, würde das eine jenseits des Atlantiks eintreten, es diesseits keinesfalls zum anderen, äußersten kommen werde. Zu viel stand auf dem Spiel, so die gängige Meinung. Nun, es ist anders gekommen, und die multiplen Scherbenhaufen werden allerorts besichtigt. Don Winslow, einer der erfolgreichsten Krimiautoren der Welt, dessen Anti-Trump-Videos auf der Plattform X
von mehr als 15 Millionen Menschen heruntergeladen werden, hatte nach eigener Aussage sogar mit dem Schreiben aufgehört, um sich ganz dem Kampf gegen Trump zu verschreiben.
Es lohnt sich, das Interview in der F.A.S. von 2022 noch einmal nachzulesen, indem Winslow bekennt, wie hart es für ihn sei, sein Dasein als Schriftsteller zurückzustellen, aber: „Du kannst dir eben
nicht immer aussuchen, in welchen Zeiten du lebst und was sich daraus für Aufgaben für dich ergeben.“
Sandra Kegel
Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Sein amerikanischer Kollege Stephen King musste angesichts des Wahlerfolgs von Trump, wie er bei X schreibt, an jene Warnschilder in Geschäften denken, die zerbrechliche Gegenstände verkaufen. Sie ließen sich auf die Demokratie übertragen: „Schön anzuschauen, reizvoll in der Hand zu halten, aber wenn es kaputtgeht, ist es verkauft.“ Jetzt kommt es nur noch darauf an, wie hoch der MAGA-Preis ist, könnte man anfügen.
Heidi Julavits, Autorin und Professorin von der Columbia Universität, musste sich dagegen erst einmal mit Alltag betäuben: Haare waschen, Kaffee kochen, Textnachrichten beantworten, um sich vorzumachen, „dass noch immer gestern ist“. Währenddessen wurde George Saunders, jener Autor, dessen Phantasie bekanntlich keine Grenzen kennt, durch die Realität eines Besseren belehrt: „Es ist wirklich passiert. Es ist abstoßend. Aber es ist passiert“, schreibt er. Warum? Das versuche er gerade herauszufinden. Und wenn er diesen Prozess des „Das ist ekelhaft, ich hasse das“ in ein „nuancierteres, detaillierteres Verständnis verwandeln kann, werde ich wichtige Arbeit getan haben“.
Sein New Yorker Kollege Joshua Cohen, der für seinen Roman „Die Netanjahus“ den Pulitzerpreis erhielt, hält grimmig dagegen, wenn er in der F.A.S., meint, dass jeder, der den Wahlsieg Trumps nicht habe kommen sehen, blind gewesen sei. Einzig die seit Jahren in Amerika lebende Kanadierin Leanne Shapton sieht in ihrer Stellungnahme einen Hoffnungsschimmer am Horizont des Landes, das von nun an wieder „von einem mobbenden, kriminellen Geschäftsmann geführt wird“. Weil jede Aktion eine entgegengesetzte Reaktion hervorrufe, so Shapton, bringe auch jeder Verfall aufs Neue Wachstum hervor. Ob und wie dies geschehen wird, lässt sich in den nächsten Wochen und Monaten besichtigen. Die Schriftsteller werden es beobachten – und wir mit ihnen.
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Er ist ein Virtuose der Desillusionierung. Vollkommen schonungslos verfährt er, wenn es darum geht, den Schmerz der Selbsterkenntnis zu beschreiben: Dem Schriftsteller Kazuo Ishiguro zum Siebzigsten.
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Im März 1930 trat der letzte sozialdemokratische Kanzler der Weimarer Republik zurück, weil er die Forderungen des Finanzministers nicht erfüllen wollte. Jens Bisky erzählt das Lehrstück in seinem neuen Buch.
Vom Bergbau über Herrschaftspraktiken bis zu Privatisierung: Kate Crawford legt einen KI-Atlas vor, der Künstliche Intelligenz als Teil eines Kapitalismus aus Rohstoffabbau, Energieverbrauch und Ausbeutung charakterisiert.
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