am Mittwoch wurden die Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse bekannt gegeben – und jetzt bleibt es bis zur Preisverleihung in der Glashalle auf dem Messegelände, die traditionell am Messedonnerstag stattfindet, spannend. In den sozialen Medien wurden schon die ersten Drohungen ausgesprochen: „Wenn Du nicht gewinnst, komm ich und knall die Tür“, schrieb als Gratulation für die mit dem Roman „Kommando Ajax“ nominierte Cemile Sahin die Autorin Caroline Rosales auf Instagram. Oder: „Wer soll denn dann die Scheidung bezahlen?“ Eine ironische Anspielung auf die Verleihung des Deutschen Buchpreises in Frankfurt im Oktober, bei der der Schriftsteller Clemens Meyer aus Enttäuschung über die Entscheidung der Jury für Martina Hefters „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ schimpfend
aus dem Saal gelaufen war.
Julia Encke
Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Meyer hatte für sein eintausendseitiges literarisches Karl-May-Epos, „Die Projektoren“, an dem er acht Jahre gearbeitet hatte
, mit dem Buchpreis so sehr gerechnet, dass er es überhaupt nicht fassen konnte, ihn nicht bekommen zu haben. Dem „Spiegel“ gab er im Anschluss ein Interview, in dem er auch die existenzielle Dimension einer solchen Arbeit deutlich machte: „Ich habe gerufen, es sei eine Schande für die Literatur, dass mein Buch den Preis nicht bekommen hat“, sagte der Schriftsteller über seine Reaktion bei der Verleihung in Frankfurt. „Wenn ich jetzt auf Platz eins der Bestsellerliste wäre, dann hätte ich 100.000 neue Leser und könnte meine Schulden bezahlen. Ich wäre meine finanziellen Sorgen für eine Weile los.“ Er müsse derzeit eine Scheidung finanzieren und habe 35.000 Euro Steuerschulden angehäuft. Clemens Meyer kritisierte in dem Interview auch, dass der Literaturwelt die Emotionen
abhandengekommen seien. Früher hätten Schriftsteller noch „gestritten und gebrüllt“. Die heutige Einstellung, „alle müssen sich lieb haben“, sei ihm fremd. Sein Auftritt bekam medial so viel Aufmerksamkeit, dass er gleich in die Literaturgeschichte eingegangen ist und – wer weiß – als Performance zur Wiederaufführung kommen könnte, vielleicht schon in Leipzig.
Zu den Nominierten des Preises der Leipziger Buchmesse gehören neben Cemile Sahin die Schriftstellerin Kristine Bilkau mit ihrem Nordseeroman „Halbinsel“ (Luchterhand Verlag) und Esther Dischereits „Ein Haufen Dollarscheine“ (Maro Verlag). Wolf Haas war schon im letzten Jahr nominiert und dieses Jahr gleich wieder, mit dem Roman „Wackelkontakt“ (Hanser Verlag), in dem es um einen Trauerredner und einen Mafiakronzeugen geht, eine Erzählung, die der Logik des Puzzles folgt,
mein Kollege Tilman Spreckelsen hat das Buch hoch gelobt. Christian Kracht, der für seinen Roman „Eurotrash“ gerade auch auf der Longlist für den diesjährigen International Booker Prize steht (der Roman wird gerade von Krachts Frau, der Regisseurin Frauke Finsterwalder, verfilmt), ist mit seinem neuen Buch „Air“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch) nominiert. Es erscheint am kommenden Donnerstag, mein Kollege Tobias Rüther hat es schon gelesen,
ist allerdings nicht so überzeugt wie die Leipziger Jury.
Die nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch als Künstlerin bekannte Cemile Sahin, mit dem Roman „Kommando Ajax“ nominiert, arbeitet übrigens in ihrem literarischen wie künstlerischen Werk mit Rückkopplungen von Bild und Sprache.
Man kann ihr Buch auf mehrere Arten lesen, hat Niklas Maak über das Buch geschrieben
: „als einen turbulenten Kunstkrimi und als Sozialsatire zur Frage von Privilegien, Klasse und dem Zugang zu Ressourcen, Macht und Bildung; als ein berührendes Familienepos, das von der Vertreibung einer kurdischen Familie handelt – und als ein Erzählexperiment, in dem Bilder den Text verstärken oder destabilisieren und die Bilder ihrerseits, wie man es von Social-Media-Formaten kennt, durch ins Bild eingeblendete Texte unterlegt werden“.
In der Galerie Esther Schipper war in Berlin gerade eine Ausstellung von Sahin zu sehen, „Road Runner“, in der es um eine dystopische Zukunft geht, in der Killerdrohnen die Kontrolle übernommen haben. „A Drone is Drone“, hieß es dort in einem Film in Anlehnung an Gertrude Steins „Rose ist eine Rose ist eine Rose“. Die Ausstellung wird vom 27. März an in Mailand zu sehen sein – am selben Tag werden um 16 Uhr in Leipzig die Preise vergeben. Ich bin gespannt auf die Performance. Bis dahin haben Sie und haben wir noch Zeit, die nominierten Bücher zu lesen – und natürlich auch die vielen interessanten Neuerscheinungen, die zwar nicht auf der Shortlist stehen, über die wir in den nächsten Wochen für Sie aber umfassend berichten werden.
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