Literatur
                                                           
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Freitag, 08.08.2025 | Zur Online Ansicht
 
 Frankfurter Allgemeine
LITERATUR
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Sommer steht vor der Tür, Zeit zu verreisen. Wen es im August nicht an den Strand oder in die Berge zieht, der sucht sich auf andere Weise Anregungen für die freie Zeit. Mein Mann zum Beispiel ist passionierter Sammler und hört damit auch im Urlaub nicht auf. Deshalb klettert er in den Ferien nicht einfach in den Alpen, sondern nimmt sich etwa vor, alle höchsten Gipfel der Europäischen Union zu erklimmen, weshalb er nicht nur den Mont Blanc oder die Zugspitze besteigt, sondern auch den Møllehøj, mit 170,86 Metern Dänemarks höchster Berg, oder die Botrange, Belgiens höchste Erhebung (694,24 Meter). Andere stellen sich für ihre Reisen knifflige Aufgaben, zum Beispiel die, während des Urlaubs so viele Zahlen auf Hausnummern oder in Speisekarten zu finden und zu fotografieren, bis die Fotoserie von 1 bis 100 vollständig ist.
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Sandra Kegel
Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
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Meine Ansprüche an Urlaube sind längst nicht so ausgefuchst. Was ich mir jedoch immer wieder gern vornehme, wenn ich unterwegs bin, sind Besuche in Dichterhäusern. Mich fasziniert der sinnliche Einblick in die Literaturgeschichte. Mich in Räumen zu bewegen, in denen Werke entstanden sind, die ich gelesen habe, die Originalmöbel zu sehen („bitte nicht anfassen“), dazu Manuskripte, Briefe und andere Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, geben ein spezifisches Bild vom Leben und Arbeiten der Autorinnen und Autoren. Man bekommt ein Gefühl für die Zeit, in der sie lebten, und für die Wechselwirkung von Leben und Werk. Goethes Erinnerungsorte in Frankfurt und Weimar sind wohl die bekanntesten Dichterhäuser. Während das Frankfurter Haus das Aufwachsen des jungen Mannes im Großen Hirschgraben illustriert, ist das Weimarer am Frauenplan eine Lebensarbeitsstätte, in der Goethe fünfzig Jahre verbrachte und fünfzigtausend Gegenstände (ver)sammelte.

Dass Dichterhäuser auch verräterisch sein können, erfuhr ich bei meinem Besuch des Walden Pond in Concord im amerikanischen Massachusetts. Die Hütte, von der leider nur eine Nachbildung existiert, wurde durch Thoreaus Buch „Walden“ berühmt. Sie ist kein klassisches Dichterhaus, sondern vielmehr so etwas wie die hölzerne Stellvertreterin für Thoreaus Philosophie des einfachen Lebens, die sein Buch zu einem der einflussreichsten Werke nicht nur der amerikanischen Literatur, sondern auch der Umweltbewegung machte.

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Die Zukunft des Reisens: Valentin Groebner fragt nach Glück, Elend und Zukunft von Vergnügungsreisen

Die Wahrheit liegt im Auge der Betrachterin: In Louise Doughtys „Deckname: Bird“ ist eine Agentin auf der Flucht

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Doch wie erstaunt war ich, als ich den kleinen Verschlag aufsuchte und feststellte, dass er keinesfalls in der Waldeinsamkeit liegt, sondern in fußläufiger Entfernung zum Haus der Mutter in Concord. Dort hatte sich Thoreau meist sonntags von der Einsamkeit erholt und ließ sich gut bekochen sowie die Wäsche waschen. Das hässliche Besucherzentrum gab es damals freilich noch nicht. Dafür lag die Hütte, malerisch an einem See gelegen, unweit der Eisenbahn, weshalb es in dem Waldstück jedenfalls schon damals nicht still gewesen sein kann.

In Paris gibt es etliche museale Dichterhäuser, das Maison de Victor Hugo (Place des Vosges), das Haus von Balzac (Rue Raynouard) oder das von Verlaine (Rue Descartes). Viele haben auch schon einen Abstecher nach Illiers-Combray unternommen, um das Proust-Museum im Haus der Tante Léonie zu besuchen. Das Anwesen, Vorbild für die „Recherche“, ist heute ein Pilgerort. Doch schon damals, als ich es vor vielen Jahren besuchte, gab es in dem kleinen Ort, 120 Kilometer südwestlich von Paris, an jeder Ecke nicht nur Bücher von und über Proust zu kaufen, sondern auch Madeleines in allen Variationen.

In Paris hatte Proust zwei Wohnungen. Die erste, in der er bis 1919 lebte, lag am Boulevard Haussmann 102, die zweite, Heimstätte bis zu seinem Tod 1922, in der Rue de l'Amiral Hamelin 44. Es gibt kein Museum, das diese Wohnungen beherbergt. Dafür ist das Originalbett erhalten, in dem Proust bekanntlich die letzten Lebensjahre überwiegend verbrachte und auch „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ schrieb. Der ungewöhnliche Schaffensort findet sich im Pariser Museum der Geschichte zusammen mit anderen Möbeln und Schreibutensilien, die dem Schriftsteller gehörten. „La Chambre de Proust“ heißt der Ausstellungsraum im Museum Carnavalet. Man sollte wieder einmal nach Paris fahren - oder Proust lesen.

Kennen Sie spannende Dichterhäuser in der Welt? Dann erzählen Sie uns davon – wie immer an „literatur-nl@faz.de“.

Schöne Ferien und gute Lektüren

Ihre Sandra Kegel

 
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